Das bis Ende 2010 geltende Recht betreffend die Besteuerung von Vermögenserträgen im Einkommenssteuerrecht des Bundes basiert auf dem sogenannten Nennwertprinzip. Dabei bildet jeder geldwerte Vorteil aus einer Beteiligung steuerbaren Vermögensertrag, welcher keine Rückzahlung von Stamm- oder Gesellschaftskapital darstellt. Sämtliche von einer Gesellschaft erwirtschafteten Gewinne sind im Zeitpunkt der Ausschüttung grundsätzlich steuerbar (vgl. Art. 20 Abs. 1 Bst. c des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Direkte Bundessteuer [DBG]).
Mit dem Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeiten und Investitionen (Unternehmenssteuerreform II) wurden in Art. 20 Abs. 3 und in Art. 125 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Direkten Steuern (DBG) sowie in Art. 5 Abs. 1bis des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer vom 13. Dezember 1965 (VStG) die Rückzahlung von Einlagen, Aufgeldern und Zuschüssen von Inhabern der Beteiligungsrechte neu geregelt. Danach werden Kapitaleinlagen von Inhabern von Beteiligungsrechten dem Grund- oder Stammkapital gleichgestellt (Kapitaleinlageprinzip).
Neben den unternehmenssteuerlichen Grundlagen werden zurzeit bekanntlich auch die Rechnungslegungsvorschriften des Schweizerischen Obligationenrechts einer grundlegenden Erneuerung unterzogen. Die neue Rechnungslegung zielt auf die nicht kotierten Unternehmen ab und erfasst alle Rechtsformen.1 Dabei wird die Latte für private Aktiengesellschaften, GmbHs und Genossenschaften höher gesetzt werden. Wie nachstehend noch zu zeigen sein wird, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die hier diskutierte Thematik des Kapitaleinlageprinzips.
Im Zentrum der Gesetzesnovelle steht der Beteiligungsinhaber. Die Qualifikation als Kapitaleinlage muss u.E. zwingend aus der Sicht des einlegenden Beteiligungsinhabers erfolgen, da ansonsten das Ziel, die Doppelbesteuerung der eingeschossenen Mittel zu vermeiden,2 nicht erreicht werden dürfte.
Bereits jetzt kann gesagt werden, dass der von den Steuerbehörden geforderte Nachweis betreffend die korrekte Ermittlung der Kapitaleinlagereserve eine zeitintensive Angelegenheit sein wird, die in der Praxis oft an der Tatsache scheitern dürfte, dass die im Handelsrecht geltende Aufbewahrungsfrist von Geschäftsunterlagen (Geschäftsbücher, Buchungsbelege und Geschäftskorrespondenz) zehn Jahre beträgt,3 die «rückwirkende steuerliche Anwendbarkeit» jedoch auf das Jahr 1997 zurückgeht, d.h. mehr als zehn Jahre beträgt.
In der Praxis können daher die Formulare 3 und 326 der Emissionsabgabe erste Indizien für allfällig dem Kapitaleinlageprinzip zugängliche Reserven sein. Bei Umstrukturierungen empfiehlt es sich, die Rulingschreiben bzw. die buchhalterischen Gegebenheiten im Detail nochmals zu studieren, um allfällige Agio-Reserven zu erkennen, die dem Kapitaleinlageprinzip zugänglich wären.